Lili Grünewald:
Ästhetik des Zerfalls, Eisenoxide auf Seide
In der Weltkulturerbe-Stadt Quedlinburg musste bei der Sanierung eines jeden Hauses Schritt für
Schritt immer wieder neu entschieden werden, was zum Schutz des kulturellen Erbes erhalten
werden sollte und was zu Gunsten der Anforderungen eines heutigen Lebens endgültig dem Verfall
preisgegeben werden musste.
Nicht selten fand man zu einem Kompromiss indem man den Weg der Kreativität beschritt.
So wurde z.B. eine „Schwarze Küche“ (d.h. offene Feuerstelle), die im heutigen Leben ihren
ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen kann (oder darf), nicht einfach beseitigt. Statt dessen
fand sie eine neue Bedeutung als archaisch ästhetisches Element in der Gestaltung heutiger
Wohnräume oder als Teil eines den neuesten Bestimmungen gerecht werdenden Lehmbauofens.
Bei der Aufarbeitung der Wände wurden die früheren Schichten nicht immer vollständig entfernt
und durch neue ersetzt. Mitunter ließ man unterschiedliche historische Schichten nebeneinander
stehen und konservierte oder ergänzete sie. So entstand ein feines ästhetisch ansprechendes Relief,
welches den über Jahrhunderte hinweg real entstandenen historischen Farbschichten eine neue
Bedeutung gab: sie waren zu einem abstrahierten Abbild der Geschichte selbst geworden.
In dieser Tradition steht auch das Tuch. Auf ihm fanden Verfallsspuren durch Korrosion von Eisen -
einfach ausgedrückt „Rostflecke“ - zu einem neuen ästhetischen Ausdruck.